Den typischen Cybersex-Nutzer gibt es nicht. Einige wollen sich nur an Bildern und Worten ergötzen. Andere wiederum hoffen, über die Erotik auch das Herz des Chat- oder Flirtpartners zu erobern. Hinzu kommen Dutzende sexuelle Neigungen, Vorlieben und Interessen, die dem Einheitsbrei widersprechen. Gleichwohl ist das Cybersex-Bild, das sich in den Köpfen verankert hat, stereotyp: Er ist Single, leicht verlottert und würde bei Frauen in natura sofort abblitzen. Sie ist nymphoman, treibt es mit jedem und jeder und nutzt das Internet nur, um sich dem nächsten Höhepunkt entgegen zu klicken.
Diese Einschätzung hat bereits mit den ersten Studien zum Thema Cybersex tiefe Risse erhalten. Auch die Daten der australischen Swinburne University aus dem Jahr 2009 zeichnen ein ganz anderes Bild. Denn von den 1.300 Cybersexnutzern, die befragt wurden, waren 55 Prozent verheiratet oder lebten in einer festen Partnerschaft. An dieser Quote dürfte sich in den vergangenen drei Jahren kaum etwas verändert haben. Obwohl einem „gesunden“ Sexleben also nichts im Wege steht, verbrachten die Damen und Herren täglich bis zu zehn Stunden am PC, um sich virtuellen Sex-Abenteuern hinzugeben.
Diese Zahl spricht für den Stellenwert, den Cybersex mittlerweile eingenommen hat. Positiv daran ist aber lediglich, dass sich niemand schämen muss, wenn er hin und wieder nackte Tatsachen betrachtet oder ein Stelldichein im Netz hat – macht schließlich fast jeder und ist somit durchaus gesellschaftsfähig. Doch die Medaille hat zwei Seiten. Auf der dunkleren von beiden schimmert die Abhängigkeit.
Der aktuelle Drogen- und Suchtbericht geht von 560.000 Bundesbürgern im Alter von 14 bis 64 Jahren aus, die internetsüchtig sind. Bei den jüngeren sind es sicher eher Spiele und Chats. Doch Dr. Michael Berner, der Vorsitzende des Informationszentrums für Sexualität und Gesundheit, mahnt: „Auch reife Erwachsene sind gefährdet. Vor allem, der leichte verfügbare Cybersex zieht viele in ihren Bann.“ Die Gefahren, die der Psychiater und Psychotherapeut sieht, sind Realitätsverlust und Vereinsamung. Davor schützen auch Partnerschaften nicht. Deshalb sollte man den virtuellen Sex nicht zum Lebensmittelpunkt werden lassen, sondern sich lieber auch mal im Bett (oder auf dem Küchentisch) statt nur am PC vergnügen.